Donnerstag, 3. Januar 2013

Pakistan: düstere Perspektive 2013

Seit einigen Jahren bildet Pakistan eine Art Kulisse für den auch medial inszenierten „Clash of Civilisation“.
Die spektakulärsten Bilder fanatisierter Islamisten an Hassdemos gegen den Westen stammen meist aus Pakistan; hier richten „Gotteskrieger“ ungestraft Schulmädchen hin, die ihr Recht auf Bildung wahrzunehmen versuchen; Pakistan ist das Land, das Osama bin Laden jahrelang Unterschlupf geboten hat; hier befinden sich die Ausbildungslager, in denen auch militante Islamis­ten aus Europa ihr Terrorhandwerk lernen; und: Pakistan hat die «Islamische (Atom-)Bombe».

Die „Islamische Republik Pakistan“ mit ihren rund 180 Millionen Einwohnern ist zur Inkarnation des Feindbilds Islam geworden. Und es spricht leider Einiges dafür, dass das Land auch 2013 eine ideale Fläche zur Projektion unserer Vorurteile und Ängste bieten wird.

Dabei haben wird alle keine Ahnung von Pakistan. Das Land ist längst hinter den Feindbildern verschwunden.

Blick hinter die Kulissen des Feindbilds
Ich habe letztes Jahr aus Anlass des Filmprojekts „Jagdausflug in Pakistan versucht, mir ein differenzierteres Bild zu machen, sozusagen einen Blick hinter die Kulissen des Feindbilds zu werfen.
Tatsächlich habe ich auch andere Bilder gefunden. Pakistan ist schön, vielfältig und - natürlich – wunderbar exotisch. Aber ich habe vor allem Menschen getroffen, die sehr „normal“ waren: herzlich, offen – und sehr besorgt. Vielen geht es schlecht, wirtschaftlich, aber auch physisch und psychisch. „Pakistan is a mess“, darüber scheinen sich alle in Pakistan einig zu sein, egal aus welcher Schicht die Menschen stammen, mit denen man spricht.

Leider wird das Bild nicht besser, wenn man hinter die schlimme Fassade sieht. Wirtschaftlich scheint das Land stillzustehen. Die Sicherheitssituation ist sehr schlecht. Politisch motivierte Terroranschläge, aber auch simple gewaltsame kriminelle Übergriffe wie Entführungen zur Erpressung von Lösegeld, sind an der Tagesordnung.

Das Land ist durch und durch korrupt. Von der Polizei über die Justiz bis zur Politik. Nur gerade ein Prozent der Einwohner bezahlt Steuern, erzählt man. Eine verlässliche Statistik gibt es aber nicht. Nicht der Staat und seine Gesetze bilden den Rahmen des Le­bens der Pakistanis, sondern die ungeschriebe­nen Gesetze, Werte und Normen der Clan- und Stammesgesellschaft. Ohne die Einbettung in eine Grossfamilie und in einen «Stamm» kann man in Pakistan weder ökonomisch noch phy­sisch überleben. Nicht auf dem Dorf und auch nicht in den überquellenden Städten.

Dieses Clan- und Klientelsystem ist Fluch und Segen Pakistans zugleich. Ohne sein Regulativ würde das Land im blutigen Chaos untergehen, gleichzeitig verhindert die «Kinship» eine gesunde Entwicklung hin zu einem starken Staat mit einer gewissen Chancengleichheit für alle.

Ein Gefühl war bei fast allen Menschen mit denen ich in Pakistan gesprochen habe spürbar, und Einige haben diese Befindlichkeit auch explizit formuliert: Perspektivelosigkeit; eine grosse Verunsicherung, was die Zukunft bringen wird und zwar sowohl was die persönliche Situation betrifft, also auch die ganze Gesellschaft und das Land Pakistan.

Wir haben das Filmprojekt kurz vor Weihnachten leider bis auf Weiteres sistieren müssen – aus verschiedenen Gründen, aber nicht zuletzt auch aus Sorge, mit unserem Dokumentarfilm diejenigen zu gefährden, die uns den erhofften intimen Einblick in die pakistanische Gesellschaft geben sollten. Das jüngste Mail aus Pakistan illustriert das: Die Situation sei zurzeit „difficult and it is also a risk to have you with us.“ Und: „It will be more disturbing the next months.“

Wahlkampf mitten im Bürgerkrieg
Die nächsten Monate“ erscheinen nicht nur aus Sicht der gewöhnlichen Leute in Pakistan als besonders bedrohlich. Zum „normalen“ Chaos Pakistans kommt 2013 die Katastrophe Wahlkampf hinzu.
Die herrschenden Eliten kämpfen um die Macht und damit die wichtigsten Pfründe im Land. Die Stimmung wird sich bis zum definitiven Wahltermin, der noch nicht festgelegt ist (die Rede ist aktuell von "April oder Mai"), zusehends aufheizen. Die von dynastischen Clans dominierten Parteien und Interessengruppen werden die schwierige Situation, für die sie verantwortlich sind, schamlos nutzen: Mordanschläge auf politische Gegner und/oder deren Einrichtungen, Organisationen und Supporter, Massendemos manipulierter Fanatiker aller Couleur, populistische Medienkampagnen, usw. – in der Summe: Noch mehr Gewalt, noch mehr Chaos.
Dabei steht das Land schon heute am Abgrund: Defacto herrscht ein multipler Bürgerkrieg:
  • Eine Vielzahl religiös-extremistischer Organisationen bekämpft das herrschende Establishment.
  • Gleichzeitig bekämpfen sich die Terrororganisationen der rivalisierenden (muslimischen) Glaubensrichtungen gegenseitig. Auch in Pakistan ist die innerislamische Konfrontation der Sunniten und Schiiten bereits blutig im Gang.
  • Die herrschende Gesetzlosigkeit nutzen auch mafiös-kriminelle Organisationen zur gewaltsamen Durchsetzung ihrer kommerziellen Interessen – oft auch unter einem klassenkämpferischen oder religiösen Deckmantel.
  • Die Sicherheitskräfte kämpfen um die Kontrolle der Gebiete an der Grenze zu Afghanistan. Die pakistanischen Taliban liefern der Armee und Polizei dort seit Jahren einen blutigen Guerillakrieg, wobei sie grössere Gebiete zeitweise völlig unter ihre Kontrolle zu bringen vermochten, wie bis 2009 „die Schweiz Asiens“, das Swat-Tal.
  • Inzwischen operieren die Kämpfer der afghanischen Taliban längst nicht mehr nur in ihren paschtunischen Stammesgebieten im Nordwesten des Landes, sondern auch in den städtischen Zentren, vorab in der grössten Stadt Pakistans, in Karachi ganz im Süden am indischen Ozean.
Eben hat die Armeeführung – nach langem Zögern – anerkannt, dass die grösste Bedrohung Pakistans nicht von aussen, vom Erzfeind Indien, ausgeht, sondern von innen. In der neuen „Armeedoktrin“ hat die pakistanische Armee ihre „operative Priorität“ neu auf dieses „grösste Risiko“ ausgerichtet. Ob die pakistanische Armee - jetzt  endlich - entschlossen gegen die afghanischen Taliban vorgeht und der Staat definitiv wieder die Kontrolle über die Provinzen im Grenzgebiet übernimmt, ist offen. Sicher ist, dass damit ein neuer, blutiger (Bürger-) Krieg zu führen wäre - schlimmer noch als der Krieg im Swattal 2009.

Karte: WarsintheWorld
Die definitive "Regelung" der Situation im Grenzgebiet hat nicht zuletzt auch mit dem Krieg in Afghanistan zu tun. Längst ist Pakistan Teil diese Krieges, nicht nur weil die US-amerikanischen Streitkräfte mit ihren Drohnen regelmässig Ziele in den pakistanischen Grenzprovinzen angreifen. Pakistan als Staat und viele Pakistanis sind ganz direkt involviert in Afghanistan. Der Staat als Waffenlieferant und logistisch-politischer Dienstleister und Schutzgeber, viele pakistanische Freiwillige als Kämpfer auf Seiten der Taliban oder der afghanischen Armee - oder als Businessleute.
Die allermeisten afghanischen Taliban sind Paschtunen und damit Stammes-verwandt mit den 27 Millionen Pakistanis, die im Norden und Westen Pakistans leben.

2013 ist auch ein wegweisendes Jahr für Afghanistan. Pakistan will und wird bei den entscheidenden Weichenstellungen, die im Jahr vor dem definitiven Abzug der US-Truppen und ihrer westlichen Verbündeten aus Afghanistan, der für 2014 geplant ist, eine entscheidende Rolle spielen.
Aber das ist ein anderer, noch weiter führender Teil der Geschichte der pakistanischen „Mess“, welche den Rahmen dieses Blogbeitrags definitiv sprengen würde.

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